Andreas Brandstetter (43) über erste Fortschritte in der langfristigen Neuausrichtung des Konzerns, warum er bei verfrühter Jubelstimmung nervös wird und warum andere bessere Schnitzel machen können.
Herr Brandstetter, im Vorjahr meinten Sie an dieser Stelle, Sie müssten verrückt sein, wenn Sie mit dem Jahresergebnis 2011 zufrieden wären. Hat Ihnen das Jahr 2012 mehr Freude bereitet?
Beruflich auf alle Fälle. Bei der letzten Hauptversammlung habe ich mich im Namen des gesamten Vorstandsteams bei unseren Aktionären für das Seuchenjahr 2011 ausdrücklich entschuldigt. Sie zuerst mit unserem Ergebnis zu enttäuschen und der Hauptversammlung dann auch noch vorschlagen zu müssen, keine Dividende zu zahlen – diese Erfahrung möchte ich unseren Aktionären kein weiteres Mal zumuten.
Zum Jahr 2012: ja, das ist in Summe gut gelaufen – stimmt. Die Zahlen gehen eindeutig in die richtige Richtung – auch korrekt. Dass wir darauf stolz sein können, ja, ebenfalls richtig. Aber: In vielen Bereichen sind wir noch lange, lange nicht dort, wo wir hinwollen. Einen Persilschein für eine beschauliche Zukunft kann ich uns also nicht ausstellen. Wir müssen und wollen das Vertrauen unserer rund 8,7 Millionen Kunden, die natürlich auch von der Konkurrenz heftig umworben werden, täglich rechtfertigen. Und wir wollen neue Kunden für uns begeistern. Wenn ich das Engagement sehe, mit dem unsere Mitarbeiter sich ins Zeug legen und den Veränderungsprozess mittragen, bin ich auch sehr zuversichtlich, dass uns das gelingen wird: Unsere Kolleginnen und Kollegen haben 2012 erneut tolle Arbeit geleistet.
„Wir achten sehr darauf, dass wir alle mit beiden Beinen weiter fest auf dem Boden stehen.“
Dennoch – nach grenzenloser Euphorie klingt das noch nicht …
Dazu besteht auch noch kein Grund. Wir haben mit dem Jahr 2012 zwar einen ersten Etappenerfolg erreicht, aber eben auch nicht mehr. Nehmen Sie zum Beispiel unsere Eigenkapitalrentabilität: Wir haben einen ROE nach Steuern von 9,07 Prozent erzielt. Das ist nicht schlecht, aber wir haben noch viel Luft nach oben. Das Gleiche gilt für den Return on Sales von 3,9 Prozent.
Die österreichische Mentalität kennend, von „zu Tode betrübt“ nahtlos in „himmelhoch jauchzend“ überzugehen, werde ich deshalb bei verfrühter Jubelstimmung nervös. Ich verweise auf die emotionale Berg- und Talfahrt des heimischen Fußballsports. Meine Vorstandskollegen und ich achten deshalb sehr darauf, dass wir alle mit beiden Beinen weiter fest auf dem Boden stehen, hungrig bleiben und konsequent und leidenschaftlich an der Umsetzung unserer Strategie dranbleiben. Das ist der Schüssel.
Sie sprechen von einem ersten Etappenerfolg. Was ist denn das große Ziel?
Das haben wir in unserer langfristigen Wachstumsstrategie UNIQA 2.0 klar definiert: Wir wollen bis zum Jahr 2020 die Zahl unserer Kunden auf 15 Millionen verdoppeln. Das wird uns dann gelingen, wenn wir uns kompromisslos an den Bedürfnissen der Kunden orientieren. Daher haben wir einen umfangreichen Change-Prozess gestartet, ein Arbeitsprogramm, das wir konsequent umsetzen.
Sie wollen, dass UNIQA an seinen Versprechen gemessen wird – daran, ob es diese Versprechen einhält. Ganz ehrlich: Haben Sie 2012 eingehalten, was Sie vorher versprochen hatten?
Ja, definitiv. Wir haben im vergangenen Jahr auf Punkt und Beistrich das umgesetzt, was wir uns vorgenommen haben. Das waren im Wesentlichen fünf Arbeitspakete: Erstens haben wir gesagt, dass wir 2012 unser EGT gegenüber dem von der Krise noch unbelasteten Jahr 2010 – damals waren es 141,8 Millionen Euro – verbessern wollen. Das ist uns mit einem Ergebnis von 205,4 Millionen Euro klar gelungen.
Zweitens haben wir gesagt, dass wir uns auf unser Kerngeschäft in unseren beiden Kernmärkten Österreich und Zentral- und Osteuropa konzentrieren werden. Daher haben wir 2012 die deutsche Mannheimer Gruppe sowie unsere Medienbeteiligungen und Anfang 2013 unsere Hotelbeteiligungen verkauft. Die Logik dahinter ist simpel: Wenn wir bis 2020 doppelt so viele Kunden wie im Jahr 2010 haben wollen, dann müssen wir uns mit unserem Kopf, Herz und Bauch voll darauf konzentrieren und können keine einzige Ressource für das Managen von Zeitungen oder Hotels freimachen. Bei einem professionellen Hotelbetreiber, der das von der Pike auf gelernt hat, werden Sie garantiert ein besseres Schnitzel essen, als das bei uns der Fall war! Schuster, bleib bei deinen Leisten! Ich will nicht, dass wir eine mittelmäßige Hotelgruppe in Mitteleuropa managen. Aber ich will, dass wir mittelfristig die beste Versicherung in Mitteleuropa werden!
Gleichzeitig haben Sie aber auch Beteiligungen gekauft …
Ja, klar, weil uns diese eine nachhaltige Wertsteigerung des Kerngeschäfts ermöglichen. Wir haben die Beteiligung an unseren Privatkliniken in Österreich auf 100 Prozent aufgestockt und die Minderheitsanteile der EBRD an unseren Versicherungsgesellschaften in Kroatien, Polen und Ungarn übernommen.
Drittens haben wir uns vorgenommen, unsere Eigenkapitalausstattung zu stärken. Auch das haben wir geschafft – nicht zuletzt mit einer Barkapitalerhöhung in der Höhe von 500 Millionen Euro, die größtenteils die beiden Kernaktionäre RZB und Austria Privatstiftung gezeichnet haben. Mit dieser Barkapitalerhöhung haben sie unterstrichen, dass sie dem Unternehmen vertrauen und voll hinter UNIQA 2.0 stehen. Unsere Solvenzquote liegt per Ende 2012 bei 214,9 Prozent. Das ist im internationalen Vergleich ein brauchbarer Wert. Wir haben damit auch eine stabile Basis geschaffen, um kurz- und mittelfristige Wachstumschancen nutzen zu können.
Viertens benötigen wir für unser langfristiges Wachstum aber darüber hinaus noch zusätzliches Kapital, das wir uns vom Kapitalmarkt über einen sogenannten Re-IPO beschaffen wollen. Wir haben daher 2012, wie versprochen, eine neue, klare Konzernstruktur ohne nennenswerte Minderheitsanteile geschaffen, die für jeden Investor transparent und leicht verständlich ist.
Und fünftens und letztens haben wir, wie versprochen, die Umsetzung unserer vier UNIQA-2.0-Schwerpunktprogramme konsequent vorangetrieben.
Worum genau geht es bei diesen vier Schwerpunktprogrammen?
Unser oberstes finanzielles Ziel ist, das EGT – ausgehend vom Jahr 2010 – bis 2015 um bis zu 400 Millionen Euro zu steigern. Um das zu erreichen, haben wir vier Schwerpunktprogramme aufgesetzt. In Schlagworten:
- UNIQA Österreich: Profitabilität steigern.
- Raiffeisen Versicherung Österreich: die operative Zusammenarbeit mit der Raiffeisen Bankengruppe intensivieren und damit die Produktivität steigern.
- UNIQA International: in unseren bestehenden CEE-Märkten – wir konzentrieren uns auf die Märkte, in denen wir bereits tätig sind – stärker als der Markt wachsen, und zwar rentabel.
- Risikomanagement: eine zeitgemäße, wertorientierte Unternehmenssteuerung etablieren und das Risikoprofil – nicht zuletzt aufgrund unserer schmerzhaften Erfahrungen mit den griechischen Staatspapieren – rasch optimieren.
Wie weit sind Sie 2012 vorangekommen?
Wir liegen in allen vier Programmen bislang im Plan: UNIQA Österreich hat den Umbau im Vertrieb und im Backoffice vorangetrieben und die Profitabilität verbessert. Die Raiffeisen Versicherung in Österreich hat Vereinbarungen mit den Raiffeisen Landesbanken geschlossen, die die Kooperation zwischen den Partnern auf völlig neue Beine stellen.
Wir sind in Zentral- und Osteuropa in fast allen Ländern über dem Markt gewachsen – und das bei einer verbesserten Rentabilität. Und schließlich haben wir unsere Führungsinstrumente im Finanzbereich neu aufgestellt: Wir haben unser Risikomanagement, das professionell mit der Kapitalveranlagung zusammenarbeitet, weiter verstärkt. Wir haben unser Risikoprofil deutlich verbessert und sind als Unternehmen und dadurch als Investment deutlich berechenbarer geworden.
Andreas Brandtstetter im Gespräch mit Ivana Dumitraskovic (UNIQA International) und Filip Kisiel (UNIQA Österreich)
Trotz all dieser Fortschritte: Sie haben noch einen weiten Weg vor sich. Die Combined Ratio liegt 2012 noch über der 100-Prozent-Marke …
Ja, an dieser wichtigen Kennzahl kann man sehr gut festmachen, was noch vor uns liegt. Wir haben die Net to-Combined-Ratio 2012 zwar deutlich von 104,9 Prozent auf 101,3 Prozent gesenkt. Das reicht aber bei Weitem nicht! Wir müssen deutlich unter die 100 Prozent kommen – und zwar nachhaltig! Und genau darauf konzentrieren wir uns mit unseren Maßnahmen.
Das anhaltend niedrige Zinsniveau bereitet den Versicherungen Probleme. Wie reagiert UNIQA darauf?
Das Thema beschäftigt uns natürlich auch. Wir haben im Rahmen von UNIQA 2.0 vor allem zwei Maßnahmen eingeleitet. Erstens: Wir implementieren einen nachhaltigen Asset-Liability-Management-Ansatz, um die Sensitivitäten von Kapitalmarktveranlagungen gegenüber versicherungstechnischen Verbindlichkeiten besser auszugleichen. Zweitens: Wir arbeiten im Rahmen des Risk-Return-Ansatzes intensiv an Produktstrategie und Profitabilitätssteuerung.
Das niedrige Zinsniveau hat 2012 unterschiedliche Effekte auf unsere Finanzzahlen gehabt: Wir haben im Zuge der Implementierung des Risk-Return-Ansatzes 2012 begonnen, unser Portfolio umzuschichten. Diese Umschichtung hat sich positiv auf die Kapitalerträge im Segment Lebensversicherung ausgewirkt. Das niedrige Zinsniveau beeinflusst auch die Bewertung der Kapitalanlagen im Konzerneigenkapital positiv. Im Gegensatz dazu wirkt es sich in der ökonomischen Betrachtung – also bei der Berechnung des Embedded Value – belastend aus. Daher steuern wir mit unseren UNIQA-2.0-Maßnahmen dagegen.
Wie wichtig ist UNIQA 2.0 für Ihr Unternehmen?
UNIQA 2.0 ist DAS für die Zukunft unseres Unternehmens lebensnotwendige und existenzielle Kernprojekt. Wir wollen die beste Versicherung im Herzen Europas werden. Eine Versicherung, die ihren Kunden einen hervorragenden Service bietet, ihren Mitarbeitern attraktive, sichere Jobs und ihren Aktionären eine nachhaltige Rendite. Das wird vielen Mitarbeitern in den kommenden Jahren wie eine Predigt vorkommen, so ernst ist es uns. Aber da werden wir konsequent dranbleiben!
Warum diese Kompromisslosigkeit?
Die Bedürfnisse der Kunden haben sich in den vergangenen Jahren stark verändert, und sie werden sich weiter dramatisch und vor allem noch schneller verändern. Die Kunden fordern mehr und sind kritischer. Die Zeiten, da der Versicherungsberater ihr einziger Ansprechpartner war, sind längst vorbei. Jetzt tauschen sie sich über Facebook, Twitter oder LinkedIn aus und vergleichen Versicherungsprodukte über Onlineportale. Darauf müssen wir eine Antwort finden. Und das geht nur, wenn wir uns radikal und kompromisslos hinterfragen.
Was machen die Versicherer bislang falsch?
Manche altgediente Branchenkollegen werden das jetzt nicht gerne hören: Die gesamte Versicherungswirtschaft – und da nehme ich UNIQA nicht aus – muss noch viel lernen. Ich sage Ihnen ganz offen, wenn ich sehe, wie wir Versicherer manchmal unsere Kunden behandeln – wenn mir das selbst privat zum Beispiel beim Kauf eines Handys für meine Kinder oder beim Service der Vespa meiner Tochter passiert, würde ich sofort intensiv über einen Wechsel des Dienstleisters nachdenken. Denken Sie nur an die komplizierten, technokratischen Schreiben, die wir unseren Kunden manchmal immer noch zumuten. Verstehen Sie die immer?
Na ja ...
Eben. Die Forderung der Kunden nach mehr Qualität und besserem Service sind vollkommen berechtigt. Ich bin zutiefst überzeugt, dass sich Versicherer auf Dauer nicht hauptsächlich über Produkte differenzieren. Die kann der Wettbewerb rasch kopieren. Entscheidend ist ein erstklassiger Service. Für den Kunden zählt, wie er am Telefon behandelt wird. Ob wir ihn glaubwürdig beraten. Wie schnell wir im Schadensfall helfen. Das sind die Kriterien, an denen sie oder er uns misst. Und es geht hier nicht um hochkomplexe Ansätze: Unsere Wurzeln als UNIQA reichen mehr als 200 Jahre zurück. Solange schon geben wir unseren Kunden Sicherheit und helfen ihnen, wenn etwas schiefgelaufen ist. Auf diese Wurzeln müssen wir uns wieder stärker besinnen.
Das sind alles Argumente, mit denen Sie Kunden überzeugen wollen. Wie steht es mit den Investoren?
Für die Investoren stellen sich letztlich drei Fragen. Erstens: Glauben sie, dass man in der Versicherungsindustrie nachhaltig ordentliche Renditen erzielen kann? Zweitens: Trauen sie UNIQA zu, das vorhandene Potenzial zu heben? Und drittens: Trauen sie dem Management zu, die kommunizierte Transformations- und Wachstumsstrategie umzusetzen? 2012 haben wir unser Etappenziel erreicht. 2013 muss der nächste Streckenabschnitt folgen.
Sie sprechen das Wachstum in Zentral- und Osteuropa an. Liegen Sie mit dem Fokus auf diese Region überhaupt richtig?
Ja, absolut! Das ist ein ganz wesentliches Identitätsmerkmal von UNIQA. Wir haben mit Zentral- und Osteuropa eine Wachstumsregion mit 300 Millionen Einwohnern direkt vor unserer Haustür. Natürlich werden einige Länder immer wieder auch Rückschläge erleben. Aber die Region wird insgesamt in den kommenden Jahren deutlich schneller wachsen als der EU-Raum. Und wir haben einen langen Atem. Wir sind ein strategischer Investor. Wir sind gekommen, um zu bleiben. Und unser Engagement zahlt sich ja bereits aus: Die Rentabilität unserer Einheiten hat sich 2012 deutlich verbessert. Wir wachsen seit Jahren über dem Markt und gewinnen Marktanteile. Mehr als die Hälfte unserer Kunden stammt bereits aus Zentral- und Osteuropa.
Woher soll das weitere Wachstum in Zentral- und Osteuropa kommen?
Wir werden zunächst einmal das organische Wachstum forcieren: Wir bauen die eigenen Vertriebsmannschaften aus und intensivieren die strategische Partnerschaft mit der Raiffeisen Bank International, die mit mehr als 3.000 Filialen über das stärkste westliche Bankfilialnetz in der Region verfügt. Und wir sind offen für Akquisitionen, wenn sich günstige Gelegenheiten ergeben. Dabei konzentrieren wir uns – ich betone das nochmals – auf jene Länder, in denen wir bereits tätig sind. Wir werden keine zusätzlichen Märkte erschließen.
„Ich will nicht, dass wir eine mittelmäßige Hotelgruppe in Mitteleuropa managen. Aber ich will, dass wir mittelfristig die beste Versicherung in Mitteleuropa werden!“
Wird es überhaupt noch Möglichkeiten für Akquisitionen geben?
Ja, sogar mehr als in den vergangenen ein, zwei Jahren. Ich rechne damit, dass sich internationale Konzerne aus Zentral- und Osteuropa zurückziehen und ihre Beteiligungen in die großen Schwellenmärkte in Asien oder Südamerika umschichten werden, weil sie sich davon mehr Profit versprechen. Außerdem zeichnen sich Fälle ab, in denen lokale Investoren aus dem Versicherungsgeschäft aussteigen, weil ihr Geld vielleicht anderswo schneller und leichter Früchte abwirft. Das Versicherungsgeschäft ist etwas für langfristige Investoren, die Know-how mitbringen. Und Osteuropa muss man verstehen und vor allem mögen. UNIQA tut beides.
Könnte es auch durch Solvency II zu weiteren Konsolidierungen in Zentral- und Osteuropa kommen?
Ich glaube schon. Es wird Versicherungen geben, die Probleme mit den neuen Kapitalanforderungen bekommen werden.
Wie bewerten Sie Solvency II? Ist es ein Fluch oder ein Segen?
Klare Antwort: ein Segen. Solvency II wird die Versicherungen in die Pflicht nehmen. Es wird deutlich mehr Transparenz und Stabilität geben. Das ist gut für die Kunden, und das ist gut für die Unternehmen. Solvency II ist eine große Chance für die Versicherungen. Wir sehen das bei UNIQA als einen zusätzlichen Antrieb, um uns zu verbessern. Daher gehen wir das Thema aktiv an und bereiten uns gründlich vor – egal, wann Solvency II dann letztlich kommt.
Eine letzte Frage: Wird es für 2012 wieder eine Dividende geben?
Ich kann nicht über die Dividendenpolitik bestimmen. Aber sicher ist, dass der Vorstand der UNIQA Versicherungen AG der Hauptversammlung die Ausschüttung einer Dividende für das Geschäftsjahr 2012 vorschlagen wird. Und wir werden alles, was in unserer Macht steht, tun, dass das auch in Zukunft so bleibt.